Von Patchwork-Decken, Eineltern und Regenbogen
Gibt es die echte, normale, richtige Familie? Nein. Und das ist gut so.
Ein Geburtshaus in Kreuzberg, vor vielen Jahren. Einmal in der Woche findet vormittags der Geburtsvorbereitungskurs statt. Als werdende alleinerziehende Mutter gehe ich etwas nervös zum ersten Termin.
Bestimmt werden lauter Frauen aus „richtigen“ Familien dort sein oder: aus solchen, die es gerade werden. Mutter, Vater, erstes Kind. Später dann das zweite, selten ein drittes. Die Gespräche werden sich darum drehen, wie man die Aufgaben zu Hause verteilt, wenn das Kind erst mal da ist. Einige werden vielleicht lamentieren, dass der Mann ja jetzt schon nie zu Hause ist, wie soll das erst werden... Aber im Großen und Ganzen: Familienglück, vertreten durch die werdende Mutter. Die nach dem Kurs abgeholt wird.
Was habe ich mich geirrt. Drei von den neun anwesenden Frauen wussten damals schon, dass sie ihre Kinder, mehr oder weniger, allein großziehen würden, ich nicht eingerechnet. Zwei waren ein Paar und sind es heute noch. Vor einigen Jahren haben sie geheiratet. Das zweite Kind hat denselben Vater wie das erste, ein schwuler Mann, der in einer Partnerschaft lebt. Der seine Söhne aber regelmäßig sieht. Zwei Frauen lebten in „normalen“ Partnerschaften, ob verheiratet oder nicht, weiß ich nicht mehr. Eine hatte bereits ein großes Kind, von einem anderen Mann.
Nach dem Kurs gingen wir immer alle zusammen zum Mittagessen. Die Bäuche wurden dicker, die Gespräche wurden persönlicher – doch um ein Thema drehten sie sich nie: Wie eine „richtige“ oder „echte“ Familie aussieht. Alle Frauen waren Teil einer Familie, also Töchter, Schwestern, Enkelinnen, Cousinen, zum Teil schon Mütter. Und alle waren im Begriff, ihre Familie nun zu erweitern. Eine „eigene“ Familie zu „gründen“. Natürlich differenzierten wir, waren die Sorgen, Ängste, Erwartungen, Erfahrungen verschieden und – auch – abhängig von der familiären Situation. Aber keine von uns wäre auf die Idee gekommen, dass zwei Frauen und zwei Kinder keine Familie sein könnten. Keine hätte uns alleinstehenden werdenden Müttern abgesprochen, bald eine, wenn auch kleine, Familie zu haben.
„Ein-Eltern-Familie“ nennen das manche, weil sie das Wort „alleinerziehend“ vermeiden wollen. Das ist nett – aber Unsinn. Man ist alleinerziehend, wenn man allein ist mit dem Kind, daran gibt es nichts zu deuteln. Außerdem stellt der Begriff „Ein-Eltern-Familie“ das vermeintlich Besondere, in diesem Fall Fehlende, genauso ins Licht. Ganz abgesehen davon, dass er grammatikalisch Unfug ist. Eltern sind immer zwei. „Regenbogen-Familien“ für gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern klingt da schon schöner. Und „Patchwork-Familie“ für zusammengewürfelte Lebensgemeinschaften trifft es auch ganz gut – wenngleich das Bild der fröhlichen bunten Decke mit den vielen geraden Linien und einheitlichen Quadraten irreführt. Auf einer Patchworkfamiliendecke ist nichts gerade und symmetrisch und neben aller bunten Fröhlichkeit bedeutet es auch viel Arbeit, zusammenzuwachsen. Wie in „echten“ Familien, wahrscheinlich ein wenig mehr.
„Echt“, „normal“, „richtig“, „vollständig“... Die vielen Anführungszeichen in diesem Text nerven. Ich würde sie gerne weglassen, und die Worte, die zwischen ihnen stehen, gleich mit. Es gibt keine unechten, unnormalen oder gar falschen Familien. Familie ist, wo Kinder sind. Und die waren wir alle einmal. Familie ist, wo man sich umeinander kümmert. Füreinander sorgt und da ist. Das ahnte ich schon vor dem Kurs vor vielen Jahren. Doch wie viele Arten von Familie es gibt, habe ich dort auf engstem Raum und auf wunderbare Weise erneut lernen dürfen. Und seitdem hat das Lernen nicht aufgehört.