Over The Ocean
Die Geschichte unseres Nikodemus-Konzert-Flügels
von Katja Neppert
„Am 27. September 1929 ist dieser D-Flügel nach London verschifft worden. Damals war er mit Palisanderholz furniert.“ Man kann tatsächlich heute - beinahe 90 Jahre später - bei dem international berühmten Flügelbauer Steinway & Sons in Hamburg anrufen, und wenn man die Seriennummer hat, dann bekommt man Auskunft nach Aktenlage.
Was hat bloß unser Flügel damals in London gewollt? War er braun furniert, damit er besser zur Wohnzimmereinrichtung eines Lords passte? Nicht unbedingt, denn die Mode, dass Konzertflügel schwarz lackiert sind, kam erst später auf. Und dass er inzwischen schwarz glänzt, war vermutlich Ergebnis einer Überholung in früheren Jahren, als das Furnier schon hier und da Blessuren hatte. Aber wer das veranlasste und wie der Flügel von London nach Berlin kam – das konnte ich leider nicht herausfinden.
In den 1920er Jahren wurde für den Bau eines Konzertflügels noch 100 Jahre abgelagertes Holz verwendet. Das hatte einen anderen Klang als das Holz, das in jüngerer Zeit für den Flügelbau verwendet wird, wo man sich so lange Lagerzeiten gar nicht mehr leisten kann. Der weiche Klang des Instruments ist besonders – heute gefertigte Flügel klingen flacher, klarer und kälter.
In die Nikodemus-Kirche kam der Flügel Anfang der 1990er Jahre. Damals hatten Pfarrer Denecke und Kantor Radeke nach einem neuen Instrument gesucht. Winfried Radeke fand den Flügel bei einem Klavierbauer am Planufer, der ihn eigentlich nicht verkaufen wollte. „Aber ich durfte trotzdem mal darauf spielen – und es passte alles!“ Winfried Radeke und Pfarrer Denecke konnten mit hartnäckigen Verhandlungen dann den Flügel doch bekommen. „Danach kamen Konzertanfragen für die Kirche von allein – alle Künstler wollten auf dem Flügel spielen.“
Unser Konzertflügel hat die Größe für große Bühnen und ist vor neun Jahren erneut generalüberholt worden mit komplett neuen Saiten.
„Es kommen ja öfter Pianisten für Tonaufnahmen in die Kirche. Und oft sind sie begeistert von dem Flügel“, erzählt Roland Hamann. „Es ist ein Instrument mit Seele.“ Roland Hamann übt regelmäßig auf dem Flügel und begeitet Gottesdienste musikalisch.
Jörg Kupsch – auch ein gelegentlicher Gottesdienst-Musikant – erinnert sich, dass er ein wenig erstaunt war über den harten Anschlag, als er das erste Mal auf dem Flügel übte. Man braucht richtig Kraft in den Fingern, um die Mechanik dieses großen Instruments in Gang zu setzen. „Aber schon ein einzelner Ton erzählt eine Geschichte“, schwärmt er.
88 Jahre sind für Instrumente wie dieses noch Jugendzeiten. Wer weiß, was noch kommt? Hoffentlich noch viele gute Jahre in der Nikodemus-Kirche.