„Schwarz-Weiß-Denken wird Religionen nicht gerecht!“
Braucht der Islam eine Reformation?
Katja Neppert im Gespräch mit Nushin Atmaca
Die Wahrnehmung der muslimischen Welt ist in Europa geprägt von Bildern fanatischer Gotteskrieger des Islamischen Staates, Ayatollah Khomeini und Burkas. Es scheint, als ob der Islam nicht vereinbar sei mit europäischen Vorstellungen von Menschenrechten, Demokratie und Gleichberechtigung. Doch diese Einschätzung ist grundfalsch. Man braucht nur einen Blick auf die zahlreichen Muslime in Deutschland zu richten, die hier friedlich als Bürger dieses Landes ihre Religion leben. Prägten vor 20 Jahren vor allem konservative Muslime das Bild des Islam in Deutschland, so gibt es heute immer mehr islamisch-theologische Lehrstühle an den Universitäten und liberale Interpretationen des Islam werden hierzulande sichtbarer.
Nushin Atmaca ist seit anderthalb Jahren Vorstand von LIB eV, dem Liberal-Islamischen Bund, der 2010 in Köln gegründet wurde, um liberalen Muslimen in Deutschland eine Stimme zu geben. „Die Tätigkeit als Vorstand ist zeitintensiv, aber macht Spaß!“ erzählt sie. Sie wird zu Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen rund um das Thema Islam in Deutschland eingeladen – auch ein Interview mit dem NikodemusMagazin zum Thema Reformation und Islam gehört dazu.
Als ich mich auf das Interview vorbereitete, merkte ich schnell, wie groß das Thema ist: Was ist eigentlich Reformation? Welche Bedeutung hatten Denker der islamischen Welt für die europäische Aufklärung? Was für Reform-Strömungen und Diskussionen hat es in der muslimischen Welt in den letzten Jahren gegeben? Das in der Tiefe reflektieren zu wollen, wäre in diesem Kontext vermessen. Aber einen Anfang zu machen: das geht. Und dabei geht es zunächst um die Art, wie in Deutschland, aber auch innerhalb der islamischen Community über den Islam geredet wird.
Dem Problem eines verhärteten Denkens begegnet Nushin Atmaca im heutigen Islam generell häufig. „Das ist schädlich und hinderlich für die gesamte Religion“, sagt sie, „ und die Trends dagegen entwickeln sich eher in der Diaspora“. Also zum Beispiel hier in Deutschland oder in Südafrika, aber auch in mehrheitlich muslimischen Ländern wie Malaysia oder Pakistan. Dabei geht es ihr um eine Grundhaltung des Denkens, ein Schwarz-Weiß-Denken, das keine Grautöne zulässt. Das kann im Alltag dazu führen, dass mehrheitlich muslimische Schüler ihren nichtmuslimischen Mitschüler als „verdammenswert“ mobben oder auch zu ganzen Gesellschaften, die Andersgläubige nicht tolerieren.
Ein Schwarz-Weiß-Denken beobachtet sie nicht nur bei konservativen Muslimen. „Auch unter liberalen Muslimen gibt es polemische Akteure, die konservative Auslegungen nicht tolerieren können.“ Das kann fatale Auswirkungen haben, denn die nicht-muslimische Öffentlichkeit in Deutschland ist wenig kritisch gegenüber selbst ernannten Islam-Experten und allzu bereit, sich vorgefasste Meinungen bestätigen zu lassen. „Man sollte Kritik daher auf eine Art äußern, die Vorurteile nicht bedient. Differenziert und nicht polemisch.“
Nushin Atmaca sieht ihre Religion nicht im Konflikt mit ihrem Leben hier:
„Die islamische Religion ist kein Regelwerk, sondern ein ethischer Leitfaden, eine Philosophie. Wir sollten nicht das eigene Nachdenken und die eigene Verantwortung abgeben an Religionsgelehrte, die bestimmen, was richtig und was falsch ist.“
Mein Fazit des Gesprächs: Eine Reformation nach christlichem Muster? Das würde eine Vergleichbarkeit der historischen Situation erfordern, die nicht gegeben ist. Veränderung? Durchaus, aber mit einer Toleranz der Vielfalt von Ansätzen.
„Das sollten wir entspannt sehen“, so Nushin Atmaca.