Wider die Schnappatmung
Wir leben in schnellen Zeiten. Ein Plädoyer für Ausdauer und Geduld
Von Barbara Merziger
Der Journalistenverband Berlin-Brandenburg verleiht einmal im Jahr einen Preis mit dem Namen „Der lange Atem“. Ausgezeichnet werden Journalistinnen und Journalisten, die sich mit „Mut, Sorgfalt und Beharrlichkeit über längere Zeit einem gesellschaftlich relevanten Thema widmen und es engagiert in die Öffentlichkeit tragen“.
Ich mag diesen Ausdruck: Der lange Atem. Vielleicht mag ich ihn so, weil er etwas beschreibt, das selten zu werden droht. Wir leben in kurzatmigen Zeiten. Alles wird schneller und schneller: Die Medien und der Medienkonsum, an die Stelle der Geduld fordernden Zeitungslektüre ist das Klicken und Wischen durchs Netz getreten. Beispiel zwei: Der Konsum. Ob Wocheneinkauf, Kleidung oder Weihnachtsgeschenke: Statt zu bummeln, zu suchen und zu finden, ziehen immer mehr Menschen die Bestellung und Lieferung vor – am besten binnen 24 Stunden. Beispiel drei: Lernen und recherchieren: Warum in die Bücherei gehen, Bücher wälzen, Gedanken und Fakten wieder und wieder drehen und betrachten, wenn doch alles immer verfügbar ist? Man könnte die Reihe fortsetzen, mit dem Reisen, dem Fotografieren, der Zubereitung von Essen – Beharrlichkeit und Sorgfalt haben in diesem kollektiven Rennen einen schlechten Stand.
Begegnen wir dem langen Atem, reagieren wir unterschiedlich. Denn es gibt ihn ja, zum Beispiel bei Kindern. Die können, wenn sie etwas haben oder durchsetzen wollen, eine Beharrlichkeit an den Tag legen, die Eltern in die Verzweiflung treibt. Sie diskutieren, trotzen, haken nach, nerven. Und dennoch: Spüren wir nicht ein wenig Bewunderung, nach dem ,,Basta'!?
Ein eindrucksvolles Bild der Beharrlichkeit bieten uns auch die Menschen, die um die halbe Welt reisen auf der Suche nach Sicherheit, Freiheit, nach einem Leben ohne Angst und Hunger. Ich frage mich, ob bei all denen, die Flüchtlingen mit Skepsis, Furcht oder gar Ablehnung begegnen, nicht auch Verunsicherung eine Rolle spielt, eine Art ängstlicher Respekt. Vor etwas, was für uns unvorstellbar ist. Vor der Ausdauer, mit der diese Menschen ihr Ziel verfolgen. Vor der Kraft, mit der sie Schmerzen, Kälte und Verlust aushalten. Vor ihrer Geduld, mit der sie Wochen und Monate lang bei den Behörden anstehen und in provisorischen Unterkünften ausharren. Sie leben etwas, das wir gar nicht mehr kennen. Den langen Atem. Das unerbittliche Kämpfen für ein besseres Leben.
Und dann ist da noch die Kunst. Ob Schreiben oder Musik, ob Theater oder Film, Bildhauerei oder Malerei: Hinter all diesen Wundern, die uns staunen machen und beglücken, steckt, neben Begabung und Kreativität vor allem eins: Fleiß. Beharrlichkeit. Willen. Kurz: Langer Atem. Die Violinistin kann noch so begnadet sein – sie muss üben, jeden Tag, viele Stunden. Dem Autor mag das Talent,einen Text zu formulieren, in die Wiege gelegt sein – ihn sie aufzuschreiben, kostet Zeit. Geduld. Nerven. Der Schauspieler, der seine Rolle scheinbar mühelos ausfüllt, musste vorher seinen Text lernen, Tage, Wochen. Kurz: Ich glaube, die Faszination und der Genuss, den jede Kunst bei uns auslöst, rührt nicht zuletzt daher: Man spürt die Hingabe, die darin steckt.
Man könnte die Beispiele fortsetzen. Vom langen Atem der Wissenschaft war noch gar nicht die Rede. Vom eisernen Training der Sportler. Von all denen, die ihr Leben einer Idee, einer Vision von einer besseren, gerechteren Welt verschrieben haben. Und sich unermüdlich dafür einsetzen.
Heimliche Bewunderung, ängstlicher Respekt, Glück und Überwältigung: Unsere Reaktionen auf den langen Atem zeigen, dass er uns nicht unberührt lässt, niemals. Wir sollten ihn verteidigen. Pflegen. Ihn leben.